Handicapper wollen keine inklusive Blase
Bei der Internationalen Deutschen Meisterschaft der J/70-Klasse hängen die Trauben hoch. Vorne kämpfen Top-Teams aus Deutschland, Schweden und der Schweiz um die Podiumsplätze. Weiter hinten wird auch gekämpft – um Anerkennung, Hochachtung, Gleichberechtigung und vieles mehr. Fünf inklusiv besetzte Boote bereichern das Teilnehmerfeld auf der Kieler Woche in diesem Jahr. Minder ehrgeizig als die Titelanwärter segeln sie alle nicht.
Siegmund Mainka bahnt sich seinen Weg über den schmalen Steg, vorbei an Segelsäcken und Taschen. Behände lenkt der 54-Jährige seinen Rollstuhl um die Hindernisse und über Festmacher-Tampen hinweg. Der Paralympics-Sieger von 2008 ist auf dem Weg zur J/70 „7Oceans“. Seit April segelt er an Bord der Mannschaft vom YC Möhnesee mit Tobias, Olaf und Johann Schrage sowie Sen Sertel. Am Liegeplatz angekommen, fackelt Mainka nicht lange, als die Kollegen das Boot aufgeräumt und nahe an den Steg gezogen haben. Ein Griff ans Vordeck, eine helfende Hand und schon stemmt er sich auf das Boot.
Nach einem Unfall vor dreieinhalb Jahrzehnten wurden ihm beide Beine am Oberschenkel amputiert. Doch davon ließ sich Mainka nie bremsen. Er spielte Rollstuhl-Basketball und -Badminton, kam über das Rudern zum Segeln, wo er schließlich in der Sonar mit Jens Kroker und Robert Prem vor Qingdao/China Gold holte. Der Wassersport ließ ihn auch nach dem Paralympics-Aus für das Segeln nicht los. Mainka segelte verschiedene Boote, jetzt ist er im offenen und damit inklusiven Feld auf der J/70 unterwegs. „Das Boot kommt mir entgegen, weil es der Sonar sehr ähnlich ist“, erzählt er. Seine Position ist im Vorschiff, wo er die Vorsegel trimmt und Olaf Schrage beim Gennakersetzen und -bergen hilft. Außerdem bringt er seine Taktikerfahrung ins Spiel.
Dass die eigene Platzierung Luft nach oben aufweist, nimmt der ehrgeizige Sportler gelassen: „Wir hatten nur sechs, sieben Wochenenden Zeit, um gemeinsam zu trainieren. Das ist zu wenig für solch ein starkes Feld. Aber durch die Unterstützung der Heinz Kettler Stiftung und des Vereins ’Wir sind wir’ ist das Projekt nachhaltig angelegt. Wir können also längerfristig planen.“ Auf die Kieler Woche wollte Siegmund Mainka aber auch in diesem Jahr nicht verzichten: „Zur Kieler Woche ist klassenübergreifend immer eine gute Stimmung. Und die Kieler Woche war immer inklusiv. Als paralympische Segler wurden wir hier nicht in einer eigenen Regatta gestartet, sondern innerhalb des Geschehens.“
Der YC Möhnesee stellt nicht das einzige Inklusionsprojekt auf der J/70-Bahn: Er unterstützt auch die neue Initiative „Blinde Side“ von der Segelabteilung des Offenbacher Rudervereins 1874 und des Segelclub Prinzensteg. Ebenfalls Premiere in Kiel ist der Start des Hamburger Vereins An Bord von und mit Krebspatienten. Die Teams des NRV Hamburg und FC St. Pauli mit einem Mix aus Menschen mit und ohne Sehbehinderung sowie Gehörlosen sind bereits zum dritten Mal zur Kieler Woche dabei. „Inzwischen sind wir schon eingespielt und wissen, was auf uns zukommt“, sagt Marvin Hamm, Steuermann der „Blindfisch“. Doch einfach ist es nicht, sich im Feld der Internationalen Deutschen Meisterschaft zu behaupten. „Am Steg wissen alle anderen, dass wir inklusiv segeln. Aber auf der Bahn kann darauf natürlich keiner Rücksicht nehmen. Und das ist auch gut so. So sind wir nicht in der Inklusions-Bubble unterwegs“, sagt Leon Tyssen, Steuermann der „Helga“.
Sven Jürgensen, Motor des inklusiven Segelsports und Zweiter Vorsitzender des Vereins „Wir sind wir“, sieht inzwischen viele Ideen auf dem Weg: „Die Inklusion im Segelsport nimmt Fahrt auf, auch wenn es noch ein weiter Weg ist. In vielen Vereinen laufen Projekte, und auch der Weltsegelverband ist aktiv.“
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